Biorama / Bibliothek / Klinische Chemie / Niere und Harnwege:
 
Funktion I: Nieren und Harnwege   
 
Aufgaben der Nieren 

 Die Nieren erfüllen verschiedene Aufgaben:

  • Regulation der Salz- und Wasserausscheidung mit Wirkung auf Wasserhaushalt und Blutdruck. 
    Einen wesentlichen Einfluss haben die Nieren auch bei der Aufrechterhaltung eines physiologischen Säure/Basen-Status
     

  • Ausscheidung von wasserlöslichen Stoffwechselendprodukten (wie Harnstoff, Creatinin, Harnsäure usw.),  Medikamenten bzw. deren Metaboliten und toxischen Substanzen (z.B. Drogen, Pilzgifte).
     

  • Stoffwechselfunktionen wie Gluconeogenese und Hormonproduktion (Erythropoetin, D-Hormon (=Vitamin D), Prostaglandine, Renin).
     

  • Abbau von u.a. Antigenen, Antikörpern, Immunkomplexen und Komponenten des Komplementsystems. 

 
Das Nephron  

Die funktionelle Einheit der Niere ist das Nephron, bestehend aus einem Nierenkörperchen (Glomerulum oder Glomerulus) und dem Tubulussystem. 

Die Funktion eines Nephrons lässt sich wie folgt unterteilen:

  • Glomeruläre Filtration
  • Tubuläre Rückresorption
  • Tubuläre Sekretion

Die Menge, Konzentration und Zusammensetzung des Urins ist das Ergebnis aus dem Zusammenspiel dieser drei Funktionen.

Im Glomerulum wird das Blut filtriert: Zellen sowie grosse Moleküle in Abhängigkeit ihrer elektrischen Ladung werden zurückgehalten, Wasser mit allen gelösten Stoffen und kleinen Molekülen als sogenannten Primärurin an das Tubulussystem abgegeben. 

Bei gesunden Erwachsenen werden pro Minute ca. 120 mL Glomerulumfiltrat (d.h. 170 - 180 Liter pro Tag) gebildet. In den verschiedenen Tubulusabschnitten wird nicht nur der grösste Teil des Filtrates rückresorbiert, sondern zusätzlich bestimmte Stoffe gezielt sezerniert. Unter ausgewogenen Bedingungen liegt so die Urinmenge zwischen 900 und 1500 mL pro Tag. 

 
Glomeruläre Filtration  

Der komplizierte Aufbau verleiht der Basalmembran zwei verschiedene Selektionsmechanismen um die Ausscheidung von Proteinen zu beeinflussen:

  • Selektion nach Molekülgrösse:
    Das Kollagennetz hält wie ein Sieb alle grösseren Bestandteile des Blutes (Zellen, grosse Moleküle) zurück. 
  • Selektion nach Oberflächenladung: 
    Das polyanionische Heparansulfat der Lamina rara bedingt eine negative Oberflächenladung, die als Anionenfilter wirkt, d.h. negativ geladene Zellen und Moleküle werden abgestossen, während positiv (kationisch) geladene Teilchen bevorzugt in die Membran eindringen können.

Die Passage von Proteinen durch die glomeruläre Schranke ist damit ausser von der Grösse auch von der Ladung des Moleküls abhängig. Moleküle mit einer Molekularmasse von weniger als 40'000 Dalton passieren praktisch ungehindert, Moleküle mit einer molekularen Masse zwischen 40'000 und 67'000 D werden ladungsabhängig zunehmend zurückgehalten (vom Albumin im Plasma gelangen ca. 0.1% in das Primärfiltrat). Die meisten Proteine sind bei physiologischem pH negativ geladen. Ausnahmen, wie das kationische Lysozym, werden rasch filtriert.  

Glomeruläre Filtration

Abb. 1: Passage von anionischen, neutralen und kationischen Molekülen in Abhängigkeit der Molekülgrösse: kationisches Dextran durchdringt die Basalmembran wesentlich leichter als ungeladenes Dextran. Anionisch geladene Dextrankügelchen werden von der Basalmembran abgestossen.

 
Tubuläre Rückresorption  

Im Tubulussystem werden Wasser, Elektrolyte und Metaboliten rückresorbiert.

Nephron und Sammelrohr

Abb. 2: Nephron und Sammelrohr. 

Glucose 
die im Glomerulum filtrierte Glucose wird im proximalen Tubulus praktisch vollständig rückresorbiert. Zu einer Glucosurie kommt es, wenn das sog. Transportmaximum des Tubulussystems überschritten wird. 

Proteine 
Sehr kleine Proteine wie das ß2-Mikroglobulin (11'800 Dalton) oder das Myoglobin (17'000 Dalton) werden wie Glucose oder Harnstoff praktisch frei filtriert, so dass der Primärurin (im Gegensatz zum Endurin) grössere Mengen an Proteinen aufweist. Die filtrierten Proteine werden im Tubulussystem grösstenteils wieder aufgenommen; so werden beispielsweise mehr als 95% des filtrierten Albumins wieder aus dem Primärurin rückresorbiert. Die tubuläre Rückresorption ist ein energieverbrauchender, unselektiver und kompetitiver Prozess. 

Proteine mit einer Molekularmasse bis zu 5000 Dalton werden durch Proteasen des Bürstensaumes in Aminosäuren gespalten, die über spezifische Carrier in die Tubuluszellen aufgenommen werden. 

Tubuläre Resorption kleiner Proteine

Abb. 3: Vom kleinen Protein wird von einer Protease eine Aminosäure abgespalten, welche anschliessend durch einen Carrier in das Innere der Tubuluszelle transportiert wird. Dort kann die Aminosäure entweder an das Blut abgegeben oder zum Aufbau neuer Proteine verwendet werden.

Grössere Proteine werden nach der Bindung an den Bürstensaum als sogenannte "coated pits" in apikale Vesikel transportiert. Diese verschmelzen mit Lysosomen, in denen dann durch entsprechende Enzyme (saure Hydrolasen) die Proteine abgebaut werden. Während die freigesetzten Aminosäuren wieder dem Stoffwechsel zur Verfügung gestellt werden, wird der Inhalt der Lysosomen mit den schwer verdaulichen Resten in das Tubuluslumen sezerniert, so dass zusätzlich lysosomale Enzyme in den Urin gelangen (ß-NAG = N-Acetyl-ß-D-Glucosaminidase).

 
Tubuläre Sekretion 

Säuren und Basen 
Zu den Stoffen, die aktiv sezerniert werden, gehören neben Protonen und Ammoniak vor allem organische Säuren und Basen.

Proteine 
Mengenmässig bedeutend ist lediglich die Sekretion des in der Henle'sche Schleife gebildeten Tamm-Horsfall-Proteins (Uromucoid). Es handelt sich um ein schwefelreiches Glykoprotein, das offenbar antivirale Eigenschaften aufweist und normalerweise in gelöster Form oder als Schleimfäden (Muzin) ausgeschieden wird. Schleimfäden haben keine medizinische Bedeutung. Es bildet aber auch die Matrix der im Urin nachweisbaren Zylinder, da es unter verschiedenen Bedingungen, wie starker Urinkonzentration oder Ansäuerung ausfallen kann.

Weitere Proteine, die von der Niere sezerniert werden, sind die Urokinase (plasminogen activator) und das sekretorische IgA, das demjenigen anderer Körperflüssigkeiten entspricht. 

Fremdstoffe 
Arzneimittel und andere Fremdstoffe können im proximalen Tubulus sezerniert werden.

 zu: Funktion II der Nieren


bw / hpk